Auf langer Tour mit Ruhepunkten
Gestern war ein in jeder Hinsicht grossartiger Tag. Um fünf aufgestanden (nach wenig Schlaf – im Zug etwas nachgeholt!), um neun am Startpunkt. Und von da bis abends Viertel nach Sieben – nein nicht pausenlos! – auf Wanderung.
Im Gegenteil: Ich habe viele Ruhepunkte gemacht. Wenn ich allein unterwegs bin, ist es leicht, mich an die Ruheformel (eine Bringschuld im 2bd magazin) zu halten: Alle halbe Stunde ein Ruhepunkt. In – nicht ganz – regelmässiger Abwechslung: Mikropause / Timout / Powerrest. Allerdings geht das Bedürfnis vor: Einfach ein Halt und die Augen schliessen – spüren, hören, da sein. Oder mich spontan für ein paar Minuten hinsetzen – schauen, sinnieren, wegtreten.
Ein satter erster Aufstieg über 1200 Höhenmeter wird von einem Powerrest unterbrochen und mit einem Powerrest abgeschlossen. Dazwischen viele kleine Ruhepunkte. Und viel, viel fotografieren. Die Stimmungen, die Aussicht, sie sind einfach umwerfend. Trotzdem brauche ich nur gut zwei Drittel der Zeit, wie im Führer beschrieben. Ein weiterer Beweis: Du verlierst mit Ruhepunkten keine Zeit; auch nicht in der Endabrechnung!
Ab da gehts ausschliesslich über Grate. Zahlreiche Gipfel werden überschritten (Apöstel). Und am (vermeintlich) letzten Gipfel beschert mir ein peinlicher Fehler im Führer eine wunderbare Überraschung: Der spannendste Teil der Tour beginnt erst da, wo der Führer (SAC Alpinwandern) diese beim (Vor-)Gipfel beendet („steiler Zickzack“). Ich sehe Pfadspuren und frage mich, ob sie den Abstieg markieren. Das kann nicht sein, weil schon nach zehn Metern die bisher anspruchsvollste Stelle folgt: Ein Abstieg über senkrechten Fels; nicht schwer, aber ziemlich ausgesetzt. Davon steht kein Wort im Führer. Ich sehe weiter vorn weitere Spuren. Ich weiss, wenn es Spuren hat, kann ich das damit Verbundene auch bewältigen – notfalls traue ich mir die Umkehr zu. Der Entscheid ist schnell gefällt. Ich bin zwar schon lange unterwegs, doch der Tag ist prachtvoll. Keine Wolke, kein Wind (beim letzten Mal an diesem Grat musste ich zwischendurch auf allen Vieren kriechen, um nicht heruntergeweht zu werden). Also bleiben noch viele Stunden (von denen ich dann manche benötige), und ich werde von niemandem erwartet. Meine Frau ist selbst auf Tour, der jährliche Event mit ihrer Schwester.
Der Weiterweg zum eigentlichen Gipfel ist ein anderes Kapitel. Mehr oder weniger horizontal, oft einigermassen ausgesetzt, und man muss schon mal kräftig zupacken; ein Tanz in Himmelsnähe. Das Gipfelbuch am Endpunkt klärt mich schliesslich auf: Das erst ist der Hochfinsler! Aha, doch noch!
Doch die Tour ist noch nicht zu Ende. Die Überschreitung geht weiter. Die Spur teilt sich bald; eine nochmals deutlich schmalere Spur führt – diesmal sehr ausgesetzt! – etwas unterhalb der Krete dem Kamm entlang. Ich folge ihr (Motto siehe oben!), erkenne aber bald, auch nach entsprechendem Kartenstudium, dass, falls die Überschreitung auch den restlichen Kamm quert, ich nochmals einige Stunden unterwegs sein werde; zudem offensichtlich nochmals einen schönen Tick anspruchsvoller. Mittlerweile ist es halb fünf. Auch diesmal ist der Entscheid schnell gefällt. Trotz vieler Ruhepunkte ist, nach vier Stunden Schlaf, acht Stunden wandern und der Zeit, die mich nun treiben würde, eine Fehlleistung wahrscheinlicher als nicht. Ich will das Schicksal nicht herausfordern. Ich bin ja nicht in Not, die nochmals Reserven weckt. Ich kehre um und nehme den eindeutigen Pfad unter die Füsse. Dass dieser Pfad auf Wunsch – und vorzugsweise! – zum nächsten – einfachen, aber keinesfalls langweiligen! – Gipfel (Guscha) führt, war schon vorher beschlossene Sache. Er führt schliesslich zum kürzesten Abstieg ins Tal. Und dieser (Schluss-)Abstieg enttäuscht nicht. Technisch einfach, aber durchgehend schmal, manchmal ausgesetzt und immer wieder mal extrem steil führt er, schön angelegt und stets auf gutem Untergrund (nur feucht oder gar nass sollte es nicht sein; nein, sollte es nicht!) im wahren Sinn des Wortes ins Tal: zu einer Alp. Von da geht es nochmals 1000 Meter hinunter ins Haupttal (die Linth fliesst da) oder man ist vernünftig und nimmt den kurzen Weg zu einem grossen Restaurant/Hotel – eine Festbude, die mir von Nahem zu meinem Bedauern und der enttäuschten Lust auf ein gemütliches Nachtessen gar nicht gefallen hat („Wir sind ein Raucherrestaurant!“). Von da führt eine Seilbahn runter, die, je nach Festlaune, bis in die Nacht fährt. Heute war es leer im Haus, was es leider nicht freundlicher machte; doch der Hotelier hatte eh noch Ware zu transportieren. Also beendete ich den Arbeitstag um acht, irgendwo in den Suburbs von Flums. Hungrig, durstig und doch überaus beglückt. Der Zug trug mich schliesslich sicher heimwärts, während ich meine letzten Ruhepunkte vor dem eigentlichen, dem Grossen einschaltete.
PS: Wo das Ganze stattgefunden hat, kann man aufgrund der Hinweise erahnen. Eine ausführliche Beschreibung mit hoffentlich (endlich!) ein paar Fotos der über 200, die ich geschossen habe, soll demnächst in diesem Theater folgen.
-> mittlerweile publiziert im 2bd magazin
PS2: Die Ernährung gehört als Stufe 1 auch zum hier geschilderten Energiemanagement. Meinen Beitrag dazu, der in erweiterter Form in meinem Buch «Das 3×3 der Ernährung» steht, kannst du ebenfalls hier im Blog nachlesen.