Armer Brady!
Lieber Brady Dougan
Du bist CEO der Credit Suisse. Du hast eine Menge Verantwortung. Soweit für Aussenstehende sichtbar machst du bis heute einen ganz guten Business-Job.
Nur: Wie du dich selbst behandelst, ruft nach Mitgefühl; ruft nach Sorge um deine Zukunft, um deine Familie – und schliesslich auch nach Sorge um die Entscheidungen, die du zu treffen in der Lage bist.
Denn:
Geldmässig erfolgreich wirtschaften heisst noch lange nicht, dem Wohl der Gesellschaft dienen.
Wer hat das besser aufgezeigt, als deine eigene Branche in den letzten Jahren?!
Darf ich kurz daran erinnern, wie der Auftrag der Wirtschaft lautet:
Nicht die Menschen dienen der Wirtschaft, sondern die Wirtschaft dient den Menschen
Also: Wie behandelst du dich selber?
Du gehst, wenn es früh ist, nachts um eins ins Bett, meist nicht vor zwei. Und du stehst um fünf auf. Das macht durchschnittlich drei Stunden Schlaf pro Nacht.
Über die daraus zwangsläufig folgenden weiteren Misshandlungen deiner selbst wissen wohl nur du und dein unmittelbares Umfeld Bescheid.
Ich erinnere daran, wieviel Schlaf ein erwachsener Mensch – neben zusätzlichen regelmässigen Ruhepunkten tagsüber! – nachts benötigt, um sich vollständig zu regenerieren: 10 Stunden!
Brady, z-e-h-n! Du drei.
Armer Brady, wie musst du dich selber hassen, dass du dich selber ohne jede Not so gnadenlos ausbeutest! (Schau dir dazu unten das PS an!).
Hinzu kommt, dass du offensichtlich nicht weisst, wie Menschen sich selber regulieren müssen. Doch das gehört zu den Basics, zu den Topbasics sogar! Weshalb ich nicht umhin komme, dir ein miserables Zeugnis bezüglich deiner Lebenskompetenz auszustellen.
Was also kann ein Mensch wie du für das Wohl der Menschen leisten? Das ist doch etwa so, wie wenn ein katholischer Priester Sexualberatung macht, nicht wahr? (Letzteres geschieht ja recht häufig; heute vielleicht eher in Entwicklungsländern, wie zB Italien ;-)).
Nun, vielleicht ist es ja dein erklärtes Ziel, deine Wenigkeit für das hehre Wohl der Menschen zu opfern. Was zählt schon ein Brady Dougan – oder irgend ein anderes einzelnes Individuum, wie zB ich – angesichts des Gesamtwohls der Menschheit?! Doch so recht will dieser Ansatz nicht überzeugen, nicht wahr? Dafür verdienst du als Banker einfach zu gut. Bzw geht es dir zu stark bloss ums Geld.
Also bleibt wohl nur der Schluss, dass du bereit bist für Geld, Macht und Anerkennung – also für das, was wir leider allgemein unter Karriere verstehen – bereit bist alles herzugeben, was das Leben lebenswert macht. Das bekannte Verhaltensmuster von Menschen, die sich total unwert fühlen; daran ändert auch Erfolg, Macht und Anerkennung nichts. Gar nichts.
Dass du, Brady, da bei Weitem nicht der Einzige bist, ist ein schwacher Trost.
So verlege ich mich selber denn auf die Sparte Mitgefühl. Mitgefühl für einen Menschen, der so getrieben ist, dass er sich selber ganze 25 % der nötigen Regenerationszeit gönnt für das was man gemeinhin Leben nennt.
Wenn man die Zahlen sieht, ist es einfacher, sich die Folgen auszumalen, nicht wahr Brady?
Und das ist ja nicht alles. Während diesen Ruhephasen – und nur dann! – tut unser Organismus noch eine ganze Reihe anderer sehr, sehr nützlicher Dinge für uns; er führt uns zB zu uns selber, und daraus folgt wiederum die so wichtige Selbstwahrnehmung; usw, usw.
Es ist daher unschwer Brady, sich vorzustellen, in welcher Verfassung du dich dann dem Alltag präsentierst.
Und wieviel Zeit neben deinem Job, für den du ja diese Zeit einsetzst, für dich bleibt, für blosses da Sein – von mir mit dem Begriff «Sich treiben Lassen» als das eigentliche Zentrum des lebenswerten Lebens beschrieben.
Und „was der alles einwerfen muss, um das zu ertragen,“ wie eine Nachbarin trocken anmerkte.
Angesichts dieses Befunds drängt, trotz zufriedenstellender nackter Businessleistung, alles zur Frage zurück:
Brady, was können wir Mitmenschen angesichts deines persönlichen Energiemanagements von deinem Beitrag an das Wohl der Menschen erwarten?
Mit aufmunternden Grüssen
Bernhard
PS: Brady, ich hätte da übrigens ein ganz einfaches Businessmodell für Menschen in deiner Stellung. Eines, das dir bei mindestens gleicher Endleistung jede Menge Zeit lässt für vitale Lebensbedürfnisse, für dich, für deine Familie und für was sonst so auf dem Kalender steht. Ein Businessmodell zudem, dass dein offensichtliches Potenzial definitiv besser als Beitrag für das Wohl der Menschen nutzt; selbstredend ohne deinem Geldinstitut deswegen Schaden zuzufügen; auch dies eher im Gegenteil. Tja, Brady. It’s your choice!
[…] Tiriac, du bist tatsächlich reicher als Brady, bedeutend reicher. Doch diese Anrede verdienst du dir nicht mit deinem Geld, sondern mit deinen […]
2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Reicher Ion am 16. Mai 2011 um 10:37 Uhr