Wahnsinn! In Davos und Niederrickenbach
Einmal mehr habe ich mein beschränktes Vorstellungsvermögen bewiesen. Ich ahnte nicht, was man mit Schneeschuhen alles anstellen kann. Steile Anstiege, ruppige Hindernisse, lange Traversen auf hartem Schnee – das hatte ich bis anhin in meinem Repertoire. Doch einen ganzen Grat mit Schneeschuhen begehen, der im Sommer wohl etwa T4 ist, daran habe ich bisher wirklich nicht gedacht. Der Hinweis stammte aus dem Heft «Alpen», der Publikation des SAC. Die Route selber führt nicht etwa auf einen beeindruckenden Gipfel, sondern … auf eine Alp!
Nein, die Tour fand nicht in Davos statt. Dort wurde der Wahnsinn auch ohne uns gefeiert. In Wahrheit kläglich schwache Polit- und Wirtschaftsführer(-innen), die nicht einmal den Mut haben, ihrer eigene Menschlichkeit zum Durchbruch zu verhelfen, geschweige denn jener der Weltgemeinschaft, demonstrieren der übrigen Welt, wie man trotz technischen und anderen Fortschritten – also trotz grossem Potenzial – das Wohlergehen einer ganzen Gattung nachhaltig versaut.
Die drei dümmsten Konstanten von Weltpolitik und -wirtschaft sind und bleiben Trumpf. Sie sind der Antrieb der globalen Führerschaft:
- Wählerstimmen o. Gewalt (-> Politmacht)
- Umsatz (-> Wirtschaftsmacht)
- Geld (-> Persönlichkeits- und Glückersatz)
Im Gegensatz zur Realität kommen sich diese Leute unangefochten stark vor. (Ein erheblicher Teil der heutigen Politführer und -führerinnen wurde ja auch von einem Volk gewählt und somit legitimiert, was … ja, was beweist?). Selbst grösster Druck, – wenn Facing Truth unausweichlich wird – vermag, wie die aktuellen Ereignisse zeigen, in der Regel nicht, sie auf sich selbst zurückzuwerfen; sie fliehen und nehmen ihre Beute mit oder lassen sich diese nach dem Niedergang des Unternehmens als Abgangsentschädigung ausbezahlen.
Dieser Wahnsinn zelebriert sich jährlich selber in Davos, klopft sich gegenseitig auf die Schultern und schwört sich ein auf das kollektive Beiseiteschieben der Wahrheit.
Und die Ausnahmen reisen an und dienen bereitwillig als Alibi für Aufgeschlossenheit.
Doch, immerhin: Wie es scheint, wird das auch von der moderaten Presse immer weniger goutiert.
Zurück nach Niederrickenbach (Seilbahn). Dort, zwischen Luzern und Engelberg, startet das Schneeschuhabenteuer.
Von den zahlreich angereisten Skitouristen verabschieden wir uns schon kurz nach Dorfausgang, gleich als die Sonne die Hochnebeldecke besiegt. Sie steigen rechts gegen das Brisenhaus hoch, wir streben nach links. Vom Rest – einer Reihe von SchneeschuhgeherInnen – trennen wir uns nach Erreichen des Bleikigrates(40 Minuten+).
Kleindavos: Zwei Pärchen mittleren Alters im Dauergespräch wollen Elsbeth (die führt) und mich partout nicht vorbei lassen; was uns zu einem etwas hektischen Umweg zwingt. Auf der Bank am Bleikigrat sind wir dann endlich für fünfzehn Minuten allein und geniessen die absolute Stille.
Und es bleibt für lange still. Denn der Normalweg von hier führt auf das hübsche Buochserhorn. Während uns der Einstieg zum deutlich anspruchsvolleren und nicht gerade schneeschuhlogisch erscheinenden W-Grat auf die Musenalp lockt (kein Witz; er führt wirklich bloss auf eine Alp!). Angenehm, dass bereits eine Spur besteht. Das erspart uns für den weiteren Verlauf des Anstiegs das Auffinden des richtigen Wegs um all die Schrofen und Felsblöcke herum, die auf uns warten. Allerdings ist es nicht durchgehend eine Schneeschuhspur. Die Vorgänger gingen streckenweise zu Fuss. Wir sind also gespannt.
Die Schneelage ist perfekt; relativ wenig Schnee (alter Pulver), aber doch eine (fast) durchgehende Bedeckung. Die Tour ist bei sehr viel Schnee weniger zu empfehlen (Wühlarbeit). Wir kommen also weiterhin zügig voran. Die Führung liegt mittlerweile bei mir. Bereits nach kurzer Zeit finden wir links des Grates eine Eisenleiter, die sich überraschend einfach mit den Schneeschuhen begehen lässt (Sobald man die Schneeschuhe anhebt, klappen die Enden nach unten, die Spitze entsprechend nach oben und die Schuhspitze mit den Eisenzacken darunter wird frei; perfekt, um an den Sprossen sicher einzuhängen).
Ab da windet sich der Weg im steten (und zwischendurch steilen!) Auf und Ab sowie Links und Rechts dem Grat entlang. Öfter vermitteln kleine seitliche oder aus dem Schnee hervorlugende Steinkanten, mit den Fingerspitzen erfasst, zusätzliche Sicherheit beim Auftritt mit den Schneeschuhen im steilen Gelände. Ab und zu muss auch mal eine Steinplatte in Steigeisenmanier als Tritt herhalten. Aber wir kommen nie auf die Idee, die Schneeschuhe auszuziehen. Es funktioniert mit prima.
Die Nah- und Ausblick zwischendurch sind reizend und wunderbar stimmungsvoll.
Bei durchgehend schmalem Pfad bleibt auf der ganzen Route die Ausgesetztheit moderat, was auch weniger Geübten mehr Wagnis erlaubt. Sie können sich so nach erfolgreichen ersten Schritten leichter an den Herausforderungen freuen. Und es lohnt sich hundert mal!
Schliesslich gelangen wir nach einem kurzen Gratwaldstück auf eine Hochfläche mit prachtvoller Aussicht. Ab da verläuft der Weg im offenen Gelände, inklusive einer steileren Passage, bis zum grossen hölzernen Gipfelkreuz auf der Musenalp (1 Stunde+/insgesamt Eindreiviertelstunden+, inkl. Ruhepunkte; WT5). Restlos begeistert werfen wir die Rucksäcke zu Boden. Wir sind hier selbst an diesem Prachtsonntag ganz allein, während sich rundherum die Touristen auf den Gipfeln drängen. Wir geniessen die wärmende Sonne, die klare Fernsicht und natürlich die Stille.
Der Weiterweg führt über sanfte Flächen nach Osten Richtung Bärenfallen runter. Elsbeth geht wieder voraus. Und ich folge mit grossen Schritten, um ihr Tempo mitzuhalten. Zuerst halten wir nach den Alphütten und der Station des Bähnchens (nur im Sommer in Betrieb) leicht links – mehr oder weniger an den Kabeln des Transportbähnchens für die Alp orientiert (nicht die Musenalpbahn!). So gelangen wir schliesslich zum Wald. Oha! Die Herausforderung ist noch nicht zu Ende. Ein sehr steiler, schmaler Pfad führt nach unten. Ausrutschen nicht empfohlen. Eisige Verhältnisse wären hier suboptimal. Glücklicherweise vermitteln über weite Strecken Eisenkabel zusätzlich Halt und Sicherheit, so dass der Abstieg schliesslich problemlos zu schaffen ist (WT4).
Angelangt am Passübergang von Bärenfallen (30 Minuten) gilt es, sich zu entscheiden. Nach rechts gehts zurück zum Ausgangspunkt. Nach links zum Skigebiet der Klewenalp. Wir entscheiden uns aus touristischen Gründen (unterschiedlicher Ausgangs- und Endpunkt) falsch. Der Weg zur Klewenalp folgt über weite Strecken der Ski- oder der Schlittelpiste, weicht im langen, flachen Gegenanstieg reichlich Gegenverkehr aller wintersportlichen Art aus und endet vor der Schlange am Eingang zur Talfahrt (bereits am frühen Nachmittag!). Auch der Rückweg nach Luzern ist unter der Hochnebeldecke, statt reizvoller (See), bloss komplizierter und länger, als über das Engelbergertal.
Aber natürlich tut das unserer Hochstimmung nur kurzzeitig Abbruch. Zufrieden und erfüllt von wunderbaren Eindrücken reisen wir mit dem Zug nach Hause. Wir haben fast eine neue Sportart entdeckt. Eine, die auch in rege besuchten Berggebieten die gesuchte splendid Isolation fast schon garantiert. Eine, die äusserst reizvolle Erfahrungen und Eindrücke vermittelt.
Und: Elsbeth wird allmählich zum Tier!
Fazit: Während der Wahnsinn von Davos die (Menschen-)Welt bedroht, war dieser Wahnsinn auf zwei Personen beschränkt; und er ist erst noch lebensfördernd, mit zusätzlich optimaler Ökobilanz.
[…] … Sie verkörpern den Unwert in Reinform. Dieses Nichts, das bloss scheint, etwas zu sein, durch Macht, Gewalt und Geld. Und in den Zentren der Lebensfremdheit, in den Städten, da feixen Gesichter, abstossende Masken. […]
2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Che am 4. Februar 2011 um 23:19 Uhr