Viel Glück! (Das Jahr ist noch jung)
Neuerdings gehört das zu den Standardinformationen im Primären Lernen:
„Das Glück können wir dir nicht versprechen. Aber du wirst stark und immer stärker werden; unglaublich stark schliesslich. Und das nicht bloss im Kopf, sondern durch und durch.“
Glück, verstanden als tiefes In-sich-Ruhen, ohne Bemühen irgendwelcher Art, ganz im Einklang mit sich selbst, selbstverständlich auch satt und zufrieden, bereit, jederzeit das Beste zu geben, erfüllt von Solidarität, Loyalität, Mitgefühl – von Liebe also! –, zärtlich gestimmt, nahe und doch ganz gelöst, fordernd und doch ohne Anspruch. Und all das unter Verzicht auf jeglichen Bezug zu Mythen, Ideengebäuden oder Ideologien.
Dieses Glück ist für uns zivilisierte Menschen vielleicht nicht vorgesehen. Denn, wie soll jemand, der/die im tiefsten Inneren unsicher ist über den eigenen Wert, Glück erreichen? Nein: sich Glück erlauben!?
Und das betrifft uns ja alle! Jene, die bereits stark genug sind, sich der eigenen Wahrheit zu stellen, wissen das.
In der Verfassung, in der wir Menschen uns befinden, ist Glück vielleicht nicht möglich, müssen wir uns mit wenigen kurzen Momenten bescheiden, in denen das Glück aufblitzt, um uns danach wieder zurück in den gewohnten Alltag zu schleichen. In den Alltag, in dem sich selbst der bunteste Farbreigen auf Dauer zum unausweichlichen Grau mischt. Dort, wo dieses scheussliche Modewort «emotional» (oder noch schlimmer: «emotionell»!) mittlerweile meist noch als höchstes der Gefühle verbleibt – also eine die Tatsache verschleiernde Floskel, dass gar keine Gefühle mehr vorhanden sind – durch chronische Zeitnot abhanden gekommen. Denn Gefühle benötigen um zu leben reichlich von diesem heute kostbarsten aller Güter: ZEIT.
Selbst da, wo langes Üben und strenge innere Disziplin zum Glück führen sollen, gipfelt das Streben im besten Fall im Verdrängen der Wahrheit, in der gleichsam erhabenen Lüge über das wahre Selbst. Tatsache ist: In unserer inneren Verfassung führt auch das geläutertste Streben nicht näher, als bis vor den Vorhang, wo die Illusionen enden. Denn:
Glück – so es sich denn durch das ganz und gar willkommene Sein ergibt – benötigt weder Disziplin, noch Übung. Es ist einfach da.
Und zu verdrängen gibt es dann nichts, gar nichts. Und zu erstreben wenig.
Und wie sieht die Wahrheit aus?
Facing Truth – die Konfrontation mit der eigenen Wahrheit – beginnt mit der Erkenntnis, dass jene die wahrhaft Schwachen sind, die die Wahrheit über sich selbst ignorieren und zu einem falschen Selbstbild, zur Lüge irgendwelcher Art Zuflucht suchen. Falls du zu diesen Menschen gehörst – ein möglicher Hinweis darauf ist, dass dir der Artikel bis hierher unangenehm ist, du nicht weisst, wovon ich spreche, den Wunsch verspürst, ihn wegzulegen, zu vergessen oder dich darüber aufzuregen! – dann weisst du jetzt entscheidend mehr über dich. Es wird dich einiges kosten, wirklich stark zu werden. Doch es lohnt jeden Einsatz, garantiert!
Und das ergibt der Blick ins Antlitz der Wahrheit: In uns drin, jenseits aller falschen Beschönigungen, sieht es ziemlich düster aus. Da finden wir übrigens auch den Ursprung des so genannten positiven Denkens. Je düsterer es da drin aussieht, desto grösser die empfundene Ohnmacht und Schwäche, desto stärker die Angst und in der Folge der Drang, die Wahrheit zu verleugnen … und desto vehementer und – ausgerechnet! – aggressiver wird von den Apologeten das positive Denken verteidigt. Was könnte besser illustrieren, mit welch fataler Wirkung das «positive Denken» versucht, die Wahrheit zu verdrängen – in der reichlich naiven Annahme, die unangenehme Wahrheit würde dann verschwinden –, als die Zeit des Aufstiegs der Nazis? Was heute der innere Schatten, war zu jener Zeit der äussere Schatten. Es war keine angenehme Zeit. Positives Denken hatte Konjunktur. Unzählige wandten sich damals von der Wirklichkeit ab mit der mantramässig wiederholten Floskel: „Mir geht es jeden Tag besser und besser“ und leisteten so dem nahenden Grauen Vorschub.
Diese Düsternis, dieses dunkle Grau gleicht dem, was wir heute Depression nennen.
Mit der volksmedizinischen Anerkennung hat das Wort an Schrecken eingebüsst … und ist gleich zum Modewort erkoren worden. Wie praktisch! Immerhin wurde dabei auch festgestellt, das das, was wir Depression nennen, heute das weltweit am meisten verbreitete Leiden ist.
Um dieses in unserer polierten Welt doch eher unheimliche Phänomen zu erklären, reicht allein schon die Konfrontation mit unserem tagtäglichen radikalen Raubbau an unserer persönlichen Energie – ein Ausverkauf (mittlerweile sagt man ja «Sale»), der 365 Tage im Jahr dauert. Schon aus biologischen Gründen kann dabei nichts anderes als Depression raus kommen! Keine, aber auch nicht die geringste Spur von „Mir geht es jeden Tag besser und besser.“ Die Hölle wurde in die Tiefe des eigenen Selbst verlagert.
Ich meinerseits halte wenig von Krankheitsbegriffen dieser Art. (Da erinnere ich mich, dass ich noch einen Artikel zum Thema in der Schublade verborgen habe. Er trägt den Titel: «Depression – so what?». Na, vielleicht später).
Wer sich der eigenen Wahrheit mutig stellt, erfährt, statt eines anonymen Nicht-Empfindens (Depression), die lebendigen Hintergründe des eigenen Lebens. Und das wiederum erweist sich mit etwas Übung als so wertvoll, wie nur etwas.
Nicht zuletzt ergibt sich dadurch (erst) die Chance, der latenten Düsternis zu entkommen – schliesslich endgültig. Doch auch das braucht wieder reichlich von dem, was wir eben gar nicht besitzen: ZEIT.
Übrigens werden wir durch das Anerkennen der tiefen inneren Verunsicherung zusätzlich davon befreit, nach Traumata zu suchen, um Scheitern zu erklären – Scheitern vor Beziehungsanforderungen, Scheitern vor der Gesundheit, Scheitern vor den Herausforderungen, die uns die täglichen Aufgaben stellen, Scheitern … Wir profitieren dann von der Tatsache, dass die Düsternis allgemein ist – das feste, stabile Glück also für alle unerreichbar scheint –, die Düsternis sich lediglich verschieden ausprägt in Form und Ausmass. Eventuelle Traumata kommen meist erst später dazu, verstärken dann bloss die Grundstimmung, die bereits düster genug ist. Oder wie sonst soll sich das anfühlen, wenn man am eigenen Wert – und letztlich dem Lebensrecht – zweifelt? Oh, jetzt habe ich tatsächlich auch gelogen! In Wahrheit besteht da überhaupt kein Zweifel. Jeder Mensch, den ich je gekannt habe, würde mir heute schon nach kurzem auf seine Art mitteilen, dass er oder sie nicht die geringsten Zweifel am eigenen Unwert hegt. Meide mich also, falls du fürchtest, dein mühsam entwickeltes Selbstbild oder gar alles, was du dir aufgebaut hast, zu verlieren, wenn du der Wahrheit begegnest (die Angst ist unbegründet).
Was passiert, wenn wir diese persönliche Wahrheit anerkannt und genommen haben? Was passiert, wenn wir den Tatsachen ins Auge blicken? (Primäres Lernen führt übrigens im Schnellzugtempo dorthin; manch schmerzvoller Prozess der Wahrheitsfindung wird dir dann erspart)?
ES IST FANTASTISCH! Du erlebst den vollkommenen Einklang mit dir – nicht nur in der üblichen (mentalen) Horizontalen, sondern in der Vertikalen und rundum! Das geschieht stets, wenn wir uns nackt und vorbehaltlos der inneren Wahrheit aussetzen. Du kannst das gleich jetzt erleben. Wenn du den Mut hast!
Diese Erfahrung des Einklangs ist eine grossartige Vorausschau auf den fernen Moment, wann der vollkommene Einklang dereinst bloss noch Glück freigibt. Vorerst aber ist diese Erfahrung deiner selbst nicht schön. Bedeutet Facing Truth hier doch Facing Hell! Doch vermag sie etwas, das fast so wertvoll ist, wie echtes Glück: Diese Erfahrung macht dich stark. Nun aber stark von zuinnerst und zuunterst. Mit jedem Mal mehr. Solltest du das eingangs beschriebene Glück auch auf diesem Weg schliesslich doch nicht erreichen, so bleibt dir garantiert das: Eine grosse innere Stärke, die unbeugsam ist, weil sie sich gegen keine Wahrheit wehren und vor keiner Wahrheit verbergen muss.
Nach der harten Schule folgt die Belohnung mit einem versöhnlichen Schluss: Mitten in der Düsternis finden sich auch die vergangenen glücklichen Momente. Die Liebe deiner Eltern zum Beispiel. Ihr Versuch, ein Gegengewicht zur unvermeidbaren Botschaft des Unwerts zu schaffen. Der Hauch oder auch mehr jener Liebe, die ermöglichte, dass du heute noch lebst und ausgestattet bist mit einigen Fähigkeiten zu leben.
Ja, diese Kongruenz von Liebe und Leben findet sich da auch. Doch bleibt es dabei: Bis kurz vor Ende des Prozesses steht und dominiert der Schatten. Der Schatten, den wir Menschen uns selbst geschaffen haben. Vor langer Zeit. Und den wir laufend erneuern. Ohne jede Not. Aber aus verständlichem Grund.
Die Möglichkeit, aus der desilluisionierten Hoffnung mit dem eigenen Weg durch Dunkelheit wenigstens ans Helle zu kommen machen den Artikel verdaulich.
Viktor am 3. Februar 2011 um 18:32 Uhr[…] berührt weder den Raum der Würde, noch jenen von Leistung und Verdienst; auch nicht jenen des Glücks (das so schwer zu fassen […]
2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Umfassende Lebenskompetenz ist ein Naturrecht am 23. Februar 2011 um 17:05 Uhr